Hören Sie auf, sich im Weg zu stehen,
The Work für Unternehmer
Mental erfolgreich...
Als Unternehmer ist man oft auf sich alleine gestellt.
Oft kämpft man mit den „Monstern“ in seinem Kopf.
In meiner Coaching Ausbildung bin ich mit der Arbeit von Katie Byron in Kontakt gekommen und habe gelernt diese anzuwenden, ein geniales Tool um in Situationen in denen man glaubt „es ist halt so“ neue Wege zu sehen und zu finden.
Für wen ist dieses Buch?
Ich habe dieses Buch für alle Unternehmer verfasst, da jeder Unternehmer verfasst, da jeder Unternehmer solche Situationen kennt, es scheint als müsste es so sein. Meistens beginnen solche Statements mit „Aber ich kann doch nicht…“ oder „Was denken die anderen wenn ich…“ oder auch „Es ist halt so…“
Falls du schon Einblick in die Arbeit von Byron Katie hast wirst du wahrscheinlich nicht so viel Neues finden – außer meinen Zugang zu Ihrer Arbeit.
Und noch etwas – Nimm die Beispiele in der Geschichte jetzt nicht als Grund für Diskussionen sondern versuche das Grundprinzip welches dahinter steht zu verstehen und anzuwenden!
– Johannes Nefischer
Tag 1
Missmutig stand Martina auf dem überfüllten Bahnsteig und schloss zitternd ihren Mantelkragen gegen die eisigen Windböen. Die vielen Menschen, die teils hektisch in verschiedene Richtungen hasteten, teils still standen, trugen nicht dazu bei, ihre Laune in irgendeiner Weise zu heben. In den Bahnhof war schon seit etwa 20 Minuten kein Zug mehr eingefahren, so dass sich hier logischerweise eine Vielzahl von Passagieren sammelte. Nichts Ungewöhnliches also, dachte sie bei sich, mit Ausnahme der Tatsache, dass sie gar nicht hier sein sollte.
Ein akustisches Signal von der Anzeigetafel ließ Martina aufschauen. Ihre Entdeckung erfüllte sie mit purem Entsetzen, gleichzeitig trieb es ihr jedoch ein sarkastisches Lächeln auf die Lippen, das ganz und gar nicht humorvoll war. Aufgrund einer Betriebsstörung fiel der Zug, den sie nehmen musste, nun bereits zum 3. Mal hintereinander aus. „Wir bitten um Entschuldigung“, wurde kurz darauf eingeblendet.
Toll, dachte sie. Aber einen alternativen Fahrplan habt ihr nicht zufällig anzubieten, oder? Der Gedanke war unfair, denn immerhin wohnte sie in einem Dorf, das mindestens 10 km von Wien entfernt lag. Viele Auswahlmöglichkeiten gab es da sicherlich nicht, wenn man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fuhr. Martina knirschte hörbar mit den Zähnen. Warum? fragte sie sich immer wieder voller Wut und gleichzeitig mit einer gewissen Verzweiflung.
Dabei hatte der Tag eigentlich gar nicht so schlecht angefangen. Sie hatte etwas länger schlafen können als gewöhnlich, was im Klartext hieß, dass sie für ihren Geschmack immer noch deutlich zu früh aufstand. Sie hatte sogar am Frühstückstisch noch ein paar Worte mit ihrem Mann Carsten wechseln können – eine äußerst seltene Angelegenheit am frühen Morgen, da beide sich sehr beeilen mussten, um ihren täglichen Verpflichtungen nachzugehen. Tatsächlich waren es erstaunlicherweise sogar freundliche Worte gewesen, kein Streit, der sich in letzter Zeit so oft wegen unerheblichen Kleinigkeiten bei ihnen einschlich. Wie gesagt, eigentlich war es der Beginn eines guten Tages gewesen, wie Martina fand.
Das Pech fing erst an, nachdem sie in ihren Friseurladen gekommen war. Sie hatte Andrea, eine ihrer beiden Angestellten, die Frühschicht übertragen und gehofft, dass sie zwei Stunden ohne ihre Chefin auskommen würde. Leider hatte sich dies als Trugschluss erwiesen. Als sie den Salon betrat, saßen bereits drei Kunden im Wartebereich, die offenbar gar nicht glücklich darüber waren, den halben Vormittag beim Friseur zu verbringen. Andrea war zu diesem Zeitpunkt so sehr mit einer Kundin beschäftigt, dass sie ihre Ankunft gar nicht bemerkte. Das war genau der Punkt, der bei ihr das Fass zum Überlaufen brachte, denn anstatt ihre Angestellte zu grüßen, fuhr sie diese scharf an:
„Träumst du immer beim Arbeiten?“
Andrea zuckte so heftig zusammen, dass ihre Schere verrutschte und der Kundin – einer älteren Dame mit frisch gewickelten weißen Locken – ein Bündel Haare abschnitt, das offensichtlich nicht dafür vorgesehen war.
„Oh, guten Morgen“, stotterte die junge Frau unbeholfen. Ihre Hände bewegten sich fahrig in der Luft, als wisse sie nicht, was sie mit ihnen tun sollte.
„Wenn ich eine Kundin gewesen wäre“, fuhr Martina mit gedämpftem Zorn in der Stimme fort, „hätte ich die nächsten 5 bis 10 Minuten im Laden gestanden und wäre irgendwann unverrichteter Dinge wieder gegangen. Du musst doch aufmerksam sein, wenn jemand herein kommt.“
Andrea nickte kleinlaut und blickte beschämt zu Boden, wie ein kleines Kind, das etwas Dummes angestellt hatte.
„Und warum sitzen so viele Leute hier?“ fuhr Martina, kaum noch zu bremsen, fort.
„Na ich kann doch nicht 4 Kunden auf einmal abfertigen“, rechtfertigte sie sich mit erhobener Stimme.
„Nein, das kann ich auch nicht“, erwiderte Martina, die sich sehr anstrengen musste, um die in ihr kochende Wut nicht zu offenkundig werden zu lassen. „Aber dann lässt man sie nicht hier sitzen, sondern fragt sie, ob sie später noch einmal wieder kommen können oder vereinbart einen Termin.“
Andreas Gesichtsausdruck besagte klar und deutlich, dass sie sich ungefähr 1000 Orte vorstellen könnte, an denen sie jetzt lieber wäre.
„Ja, aber das kann ich doch nicht beurteilen.“
„Das musst du aber, wenn du für ein paar Stunden alleine im Laden bist“, sagte sie mit einer deutlich erhobenen Lautstärke, die sie sofort wieder dämpfte, als ihr die interessierten Blicke mehrerer Kunden auffielen.
Mit einer wegwerfende Handbewegung ließ sie ihre Angestellte stehen und versuchte, die Situation irgendwie zu retten, indem sie rasch zum Wartebereich ging und einen Kunden zum Haarschnitt abholte.
Immer wieder stellte sie sich die Frage, warum Andrea bloß so verdammt unbeholfen in solchen Angelegenheiten war. Sie wollte anscheinend bloß schöne Frisuren herstellen, ohne dabei auch nur ein einziges Mal mitzudenken.
Der Tag war auch nach diesem Zwischenfall alles andere als rosig verlaufen. Eine ganze Reihe von Kunden hatte etwas auszusetzen, angefangen bei der älteren Dame, die von Andrea bedient worden war und wirklich allen Grund zur Beschwerde gehabt hatte (wenn sie an die abenteuerliche Frisur dachte, die am Ende dabei herausgekommen war, war es schon fast zum Lachen, wenn es nicht so traurig gewesen wäre), bis hin zu einem älteren Herrn, der meinte, dass er schon wesentlich professionellere Haarschnitte bekommen habe. Wahrscheinlich stimmte das auch, dachte sie bestürzt, denn er war immerhin Eigentümer einer ganzen Kette von Gärtnereien, der sicherlich daran gewöhnt war, von richtigen Lifestyle-Friseuren bedient zu werden.
Er war einer der neuesten Errungenschaften, die sie ihrer Mitgliedschaft im hiesigen Golf-Club zu verdanken hatte. Es war durchaus nützlich, einem solchen Verein beizutreten, dachte sie, denn das verschaffte ihr Zugang zur High-Society von Wien – und dies wiederum bedeutete eine ganze Menge von einflussreichen Leuten, die wieder andere wohlhabende Unternehmer kannten. Ja, das war wirklich eine sehr gute Idee gewesen. Wenn da nicht dieser kleine, aber nicht unbedeutende Umstand war, dass sie Golfspielen ungefähr so interessant fand wie die aktuellen Ergebnisse der Meisterschaften im Synchronschwimmen. Darüber hinaus war die Mitgliedschaft nicht gerade günstig. Für die meisten anderen Golfspieler war es ein unbedeutender Betrag, den sie aus der Portotasche zahlen konnten. Für Martina bedeutete es, auf Vieles zu verzichten, was ihr wichtig war.
Am frühen Nachmittag rückte im Salon Verstärkung in Form ihrer zweiten Angestellten Nicole an. Leider meinte es das Schicksal nicht gut mit ihr, da nur so wenige Kunden hereinkamen, dass sie den Großteil der Zeit damit verbrachten, herumzustehen und Smalltalk zu betreiben. Martina nutzte die Gelegenheit zum Einkaufen. Bei ihrer Rückkehr fand sie Nicole im Hinterhof des Ladens vor, die gemütlich rauchte und nichts anderes außer das Smartphone in ihrer Hand beachtete.
Kochend vor Wut fuhr sie ihre Angestellte an, weshalb sie den Laden unbeaufsichtigt ließe.
„Ich mache nur eine Pause“, gab Nicole stirnrunzelnd zurück. „Andrea ist im Laden. Es ist kein einziger Kunde da.“
Martina ließ es fürs Erste dabei bewenden, obwohl sie eigentlich nicht davon erbaut war, wenn ihre Friseurinnen sich vom Salon entfernten. Aber da sie keine Lust hatte zu streiten, ließ sie Nicole mit einem gemurmelten „sieh zu, dass du wieder in den Laden gehst“ stehen.
Das krönende Highlight des Tages kam schließlich zum Feierabend. Als sie in ihrem betagten VW Polo saß, war sie gedanklich schon bei der Heimkehr und plante bereits ihre Verabredung mit einem befreundeten Ehepaar aus dem Golfclub. Die beiden waren begnadete Opernfreunde und wollten ihr und Carsten heute eines ihrer Lieblingsstücke vorführen: Tosca. Diese Veranstaltung (inklusive des wirklich auserlesenen Abendkleids, das sie sich extra dafür gekauft hatte) hatte ihre Finanzen derartig zusammenschrumpfen lassen, dass sie die geplante Inspektion für ihr Auto noch um ein, zwei Monate verschoben hatte. Nun, das war anscheinend ein Fehler gewesen.
So sehr Martina auch fluchte und es immer wieder probierte – das verflixte Auto sprang einfach nicht an. Und natürlich passierte es ausgerechnet Samstagabend (der Tag, an dem aus irgendwelchen unverständlichen Gründen immer etwas geschieht, seien es plötzliche Zahnschmerzen oder ein Totalausfall des PC). Bis sie jemanden vom Pannendienst erreicht hätte, wäre es bei weitem zu spät für die abendliche Vorstellung geworden, daher beschloss sie, sich am nächsten Tag um den Wagen zu kümmern. Glücklicherweise war der Bahnhof nicht weit entfernt, so dass sie beschloss, es dort zu versuchen.
Und hier stand sie nun bereits seit 30 Minuten, doch wann ihr Zug endlich eintreffen würde, stand in den Sternen. Hektisch warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr, der ihr nur weitere unangenehme Gedanken bescherte. Sie konnte den Termin kaum noch einhalten. Eigentlich wollte sie nach Hause fahren und sich dort in aller Ruhe zurecht machen. Später würden ihre Bekannten sie und Carsten von dort abholen.
Wenn ihr zu wenig Zeit blieb, würde sie sich im Eiltempo schminken und anziehen müssen, obwohl sie unter diesen Umständen garantiert irgendwo Fehler machen würde. Sei es ein schief angezogenes Abendkleid oder ein verschmierter Lidstrich – sie würde definitiv einen schlampigen Eindruck machen. Und was würden die beiden von ihr denken, wenn sie so zum Opernabend erschien? Ihr war es von vornherein schon unangenehm, dass sie bei ihnen Hause vorfahren würden. Sie hatten nur ein einfaches, kleines Haus – nicht die hochherrschaftlichen Villen, die viele andere Clubmitglieder besaßen. Deshalb hatte sie vorgehabt, ihnen ein Stück entgegen zu laufen, damit sie „keinen Umweg“ fahren müssten. Tja, wenn der Zug nicht in den nächsten Minuten hier eintraf, konnte sie das alles vergessen.
Martina wurde so nervös, dass sie in kleinen, trippelnden Schritten auf und ab lief. Dieser verdammte Zug musste kommen. Er musste einfach.
„Wollen Sie sich vielleicht setzen?“ fragte sie ein freundlich blickender Mann, den sie auf Mitte 40 schätzte.
Verwirrt blickte Martina auf und stellte fest, dass tatsächlich ein Platz neben ihm frei geworden war, auf den er mit einer einladenden Handbewegung deutete. Kurz unterzog sie ihn einer abschätzenden Musterung. Er befand sich mindestens so lange wie sie auf dem Bahnsteig, da er ihr aus den Augenwinkeln bereits aufgefallen war. An sich wirkte er äußerlich recht gewöhnlich, wie er lässig dort saß. Seine Kleidung bestand aus einer einfachen Jacke und einer dunkelblauen Jeanshose. Was ihn von den meisten anderen Passanten auf dem Bahnsteig unterschied, hatte rein gar nichts mit seinem Äußeren zu tun, und dennoch war es so markant, als würde ein roter Pfeil über ihm schweben: Er machte den Eindruck, als säße er mitten im Urlaub an einer Strandbar, so gelöst und entspannt waren sowohl Körperhaltung als auch Mimik. Man könnte fast annehmen, das Sitzen auf einem übervollen Bahnhof inklusive das Warten auf einen viel zu spät kommenden Zug, seien seine liebsten Freizeitbeschäftigungen.
Ohne weiteres Zögern nahm Martina neben ihm Platz und nickte ihm dankend zu. Sie musste durch ihren Beruf oft und lange im Stehen arbeiten, weshalb das Sitzen ihr jetzt mehr als gut tat. Ihre Nervosität minderte dies jedoch nicht, vor allem, da sie nun nicht mehr auf- und ablaufen konnte, um ein Ventil zu haben. Daher begann sie, fahrig an ihrer Armbanduhr zu spielen, während sie etwa alle 30 Sekunden nach der Uhrzeit sah. Innerlich war sie schon fast einer Panik nahe. Es war ihr erster Opernbesuch, den sie zusammen mit wohlhabenden Bekannten zu unternehmen gedachte. Warum nur musste alles schief gehen? Sie würde es bestimmt nicht mehr rechtzeitig schaffen, und falls doch, würde sie wahrscheinlich wie ein gerupftes Huhn dabei aussehen.
Der Mann zu ihrer Linken räusperte sich. „Entschuldigung, aber kann es sein, dass es Ihnen nicht gut geht?“ sprach er sie mit ruhiger, freundlicher Stimme an. „Sie müssen nicht darüber reden, aber da wir sowieso hier festsitzen, können wir uns die Zeit auch mit einem netten Gespräch vertreiben, meinen Sie nicht?“
Erstaunt starrte sie ihn an. Noch nie hatte ein Fremder ihr eine derartige Frage gestellt. Selbst wenn sie vor Angst schon hyperventilieren würde, hätte dies vielleicht einen von 1000 Menschen gekümmert.
„Wie kommen Sie darauf?“ fragte sie vorsichtig, indem sie mit einer Gegenfrage antwortete.
Der Fremde lächelte – es wirkte überlegen, aber irgendwie auch warmherzig.
„Naja, Sie machen den Eindruck, als würden Sie gleich vor Ungeduld platzen. Darüber hinaus kommen Sie mir so nervös vor, als würde Ihr Leben vom Eintreffen dieses Zuges abhängen. Kann das sein?“ Eindringlich blickten seine Augen sie an. Sie sahen tiefer, als sie es von anderen gewöhnt war, weitaus tiefer.
„Ja, Sie haben Recht“, lächelte Martina. „Kommt Ihnen bestimmt albern vor.“
„Nicht alberner, als sich Millionen von Menschen jeden Tag verhalten“, erwiderte er lächelnd. Irgendwie schien er Ruhe und Entspannung gepachtet zu haben. Er machte den Eindruck, als hätte er noch die nächsten 5 Stunden Zeit, hier zu sitzen und mit ihr zu reden. Dabei müsste er doch sicherlich auch ein Ziel haben, das er erreichen wollte. Interessanterweise schien diese Haltung jedoch ansteckend zu sein. Martina fühlte, wie sie selbst eine gewisse Ruhe überkam, einfach, weil sie bei einem Menschen saß, der sie ausstrahlte.
„Was ist es denn so Wichtiges, wo Sie so dringend hin müssen?“ fuhr er fort.
„Ich bin zu einem Opernabend verabredet“, vertraute sie ihm an.
Der Fremde kniff verwundert die Augenbrauen zusammen. „Also eine Freizeitbeschäftigung“, stellte er fest. „Wie kann denn etwas, das eigentlich Spaß machen sollte, für eine solche Aufregung sorgen?“
„Nicht ganz“, gestand Martina. Sie fragte sich, weshalb sie ihm gegenüber so mitteilsam war, denn das war sonst nicht ihre Art. „Wir sind mit… äh… Geschäftsfreunden verabredet.“
„Verstehe“, murmelte er. „Gehen Sie denn gerne in die Oper?“
Unter anderen Umständen hätte Martina sich wie bei einem Verhör gefühlt, doch sie tat es in diesem Fall überraschenderweise nicht. Ihr Gesprächspartner fragte aus ehrlichem Interesse heraus, nicht aus falscher Höflichkeit oder anderen Gründen.
„Nicht so wirklich“, sagte sie ehrlich. „Naja, es ist das erste Mal. Aber mein Interesse daran ist… nicht allzu groß“, sagte sie mit nervösem Lächeln. Wahrscheinlich würde er sie gleich in die Gruppe der Nicht-Intellektuellen stecken und sich einen interessanteren Gesprächspartner suchen, dachte sie ängstlich.
„Das heißt, Sie denken, dass Sie in die Oper gehen müssten, ist das korrekt?“
„Ja, so in etwa“, flüsterte sie fast und war über ihr eigenes Geständnis überrascht. Bis zu dieser Frage war ihr dies nicht einmal selbst klar gewesen.
„Sehr interessant“, sagte er, lächelte sie an und streckte ihr seine Hand hin. „Ich bin übrigens Johannes.“
„Martina“, erwiderte sie nach einem kurzen Zögern. „Schön, dich kennen zu lernen.“
Sie freute sich wirklich, einen so lockeren Menschen getroffen zu haben. Irgendwie war bei ihm alles so viel unkomplizierter.
Ein weiterer Signalton erscholl plötzlich von der Anzeigetafel. Hoffnungsvoll wandte Martina sich dem Schild zu und sackte enttäuscht zusammen, als eine weitere Verspätung des Zuges angekündigt wurde.
„Sieht aus, als säßen wir hier eine Weile fest“, meinte Johannes und sah so aus, als würde er sich tatsächlich darüber freuen. War er wirklich ganz richtig im Kopf? fragte sich Martina verwirrt.
„Was hältst du davon, wenn wir die Zeit damit verbringen, dich etwas aufzuheitern?“
Das klang so verlockend, dass sie ihm sofort begeistert zustimmte, obwohl sie der Überzeugung war, dass dieses Unterfangen schlicht und ergreifend unmöglich war.
„Na gut“, lächelte sie ihn an. „Da bin ich ja mal gespannt.“
Johannes grinste. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du mir das nicht ganz abnimmst“, meinte er feixend.
„Kann schon sein.“
„Ich mache dir einen Vorschlag: Was hältst du von einer Wette?“
„Eine Wette?“ fragte sie stirnrunzelnd.
„Ja“, nickte er. „Ich wette mit dir, dass ich es in weniger als einer halben Stunde schaffe, dass du dich wesentlich besser fühlst. Und ich gehe noch weiter: Ich schaffe es sogar in 21 Tagen, dir ein erfüllteres und erfolgreicheres Leben zu geben.“
„Klingt ja wie ein Wunderheiler“, meinte sie skeptisch.
„Nein, Wunder vollbringe ich noch nicht, allenfalls ein kleines“, meinte er bescheiden.
Martina wusste nicht so recht, wie sie darauf reagieren sollte. Einerseits hatte sie das Gefühl, dass Johannes sie auf den Arm nehmen wollte, andererseits hatte eine fast schon an Faszination grenzende Neugierde von ihr Besitz ergriffen. Am Ende siegte Letzteres.
„Worum wetten wir?“ wollte sie wissen.
„Was machst du denn genau beruflich?“ antwortete er mit einer Gegenfrage.
„Ich betreibe einen Friseursalon hier ganz in der Nähe.“
„Gut, wenn ich die Wette gewinne, bekomme ich von dir einen Haarschnitt gratis.“
„Und wenn du verlierst?“
Johannes lächelte überlegen. „Ich denke, das wird nicht passieren. Aber bitte: Ich coache dich über die 21 Tage hinaus, ebenfalls kostenlos.“
„Na das ist doch ein Wort“, stimmte sie zu. „Abgemacht.“
Sie gaben sich feierlich die Hand. Johannes ging allerdings sehr schnell wieder zu einem anderen Thema über. Offenbar nahm er ihre Abmachung sehr ernst und verlor keine Zeit.
„Also, du glaubst, dass du in die Oper gehen solltest, richtig?“
Martina stimmte zu.
„Stelle dir nun einmal folgende Frage: Ist es wahr, dass du in die Oper gehen solltest?“
Als sie den Mund öffnete, um ihm prompt zu antworten, unterbrach er sie. „Bitte nicht sofort antworten. Lass dir diese Frage ein oder zwei Minuten durch den Kopf gehen. Dann kannst du antworten.“
Seltsam, dachte sie. Dabei war diese Frage doch ganz simpel. Sie sollte doch eigentlich schon die Oper gehen, oder? Das würde ihre geschäftlichen Kontakte erweitern und ihr viele verschlossene Türen öffnen können.
„Ja, ich sollte in die Oper gehen“, sagte sie fest und sah ihm dabei in die Augen.
„Okay“, nickte Johannes. „Dann zur nächsten Frage: Kannst du mit absoluter Sicherheit sagen, dass das wahr ist?“
Martina stutzte. „Das ist doch gleiche Frage noch einmal“, rief sie aus.
„Nicht ganz“, erklärte er ihr, nach wie vor ruhig. „Dieses Nachhaken dient einzig und allein dem Zweck, dass du noch einmal in dich gehst und diesmal intensiver. Also, kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass du wirklich in die Oper gehen solltest?“
Jetzt musste sie in der Tat überlegen. Mit absoluter Sicherheit… gab es überhaupt für irgendetwas auf der Welt absolute Sicherheit? Vielleicht blamierte sie sich ja durch ihr Auftreten so sehr, dass es besser gewesen wäre, sie wäre gar nicht erst eingeladen worden?
„Nein“, sagte sie schließlich. „Zu 100% kann ich das natürlich nicht sagen.“
Johannes nickte, anscheinend war er zufrieden.
„Jetzt sage mir, Martina: Wie reagierst du denn, wenn du diesen Gedanken denkst?“
Sie schaute ihn verwirrt an. „Du meinst, was ich fühle, wenn ich daran denke, in die Oper zu gehen oder gehen zu sollen?“
Er nickte. „Ja, genau das meinte ich.“
„Na es ist natürlich ein tolles Ambiente“, begann sie. „Viele erfolgreiche Menschen sind dort zu Gast, die man kennen lernen kann.“
„Ich fragte nicht, ob du einen Außenstehenden davon überzeugen willst, dass dieser Besuch nützlich sein könnte. Ich wollte lediglich fragen, wie du dich fühlst, wenn du an dieses Ereignis denkst.“
Martina zuckte die Achseln. „Aufgeregt, schätze ich. Nervös. Ich habe Angst, nicht rechtzeitig dort zu sein, auch bereitet es mir Sorgen, dass ich mich nicht gut genug zurecht machen kann, so dass jeder sieht, wie neu ich auf diesem Gebiet bin.“
„Das klingt aber nicht sehr nach einem positiven Erlebnis“, kommentierte Johannes ihre Worte. „Gut, kommen wir zur 4. und letzten Frage: Wer wärest du ohne diesen Gedanken? Sprich: Wie würdest du dich fühlen, wenn du gar nicht daran denken würdest, in die Oper zu gehen?“
Martina lachte, es wirkte aber etwas gezwungen. „Ziemlich frei“, sagte sie. „Wenn der Zug später kommt, würde mich das nicht so arg aufregen. Und ich müsste mir keine Gedanken darum machen, ob ich bei den anderen Gästen gut ankomme, ob sie bemerken, dass ich nicht so viel Geld habe.“
„Genau das ist der Punkt“, sagte Johannes laut und lächelte sie an. „Du machst das prima. Ich denke, du bist schon bereit für die erste Umkehrung.“
„Ich verstehe nur Bahnhof.“
„Mit der Umkehrung schaffst du eine Aussage, die genau entgegengesetzt zu der ursprünglichen Aussage steht. In deinem Fall war dies: Ich sollte in die Oper gehen.“
„Soll ich jetzt sagen: Ich sollte nicht in die Oper gehen?“
„Richtig“, freute er sich. „Geh mal einen Moment in dich und fühle, wie dieser Satz auf dich wirkt.“
Martina tat es. Die vielen Passagiere auf dem Bahnsteig nahm sie schon lange nicht mehr zur Kenntnis. Sie war vollkommen vertieft und auch überrascht, wie ihre Gedanken plötzlich ganz neue Wege auskundschafteten.
„Vielleicht schaffst du es, die Umkehrung mit ein paar Argumenten zu versehen, wie: Ich sollte nicht in die Oper gehen, weil…“
„Ich sollte nicht in die Oper gehen, weil es mir keinen Spaß macht.“
„Sehr gut“, lobte Johannes. „Weiter so. Vielleicht fällt die ja noch mehr ein?“
„Wie wäre es mit: Ich sollte nicht in die Oper gehen, weil ich deshalb großen Stress habe?“
„Das ist wirklich gut, Martina“, sagte Johannes, wobei seine Augen ausdrückten, dass er es ehrlich meinte.
„Das, was ich gerade mit dir gemacht habe, nennt sich The Work“, erklärte er ihr. „Es handelt sich um eine leicht anwendbare Technik, die uns hilft, unsere Gedanken auf den Punkt zu bringen und nicht um ein Problem zu kreisen, ohne weiterzukommen. Man kann sich darüber auch zwingen, Tatsachen ins Auge zu sehen, die man sonst lieber versucht zu vermeiden.“
„Und The Work kommt nun zu dem Schluss, dass ich der Oper lieber den Rücken kehre?“ fragte Martina, die immer noch nicht ganz überzeugt war.
„Nein, du kommst auf diese Idee. The Work war lediglich ein Hilfsmittel, um dich klarer sehen zu lassen. Du reflektierst viel präziser ein Problem, als du es sonst tun würdest.“
„Für mich hat es sich wirklich so angefühlt, als wäre es nicht das Richtige für mich“, gestand Martina.
„Ja, du hast selbst zugegeben, dass du nicht unbedingt aus persönlichem Interesse dorthin gehst“, erklärte Johannes. „Jeder muss irgendwann einmal Notwendigkeiten in Kauf nehmen, auch wenn sie ihm nicht gefallen. Für mich hört es sich aber so an, als würdest du alle deine Freizeitaktivitäten nur darauf ausrichten, ob sie dir wichtige Kontakte verschaffen. Die Frage ist: Wann genau unternimmst du denn mal Dinge für dich selbst? Dinge, die dich vom Alltag abschalten lassen, die dir Freude bereiten?“
Martina senkte den Blick. „Viel zu wenig“, flüsterte sie. „Die Arbeit an sich macht mir durchaus Vergnügen. Ich bin wirklich Friseurin aus Leidenschaft geworden. Aber diese ständigen Querelen mit den Angestellten, diese Angst, nicht gut genug für die Kunden zu sein…“ Sie seufzte ergeben.
„Und genau daran müssen wir etwas ändern“, erwiderte Johannes. „Das ist es, was ich mit dir in den nächsten 21 Tagen vorhabe.“
„Klingt wirklich sehr interessant“, fand Martina. „Vielleicht ist es tatsächlich verkehrt, mich derartig zu stressen. Am besten gehe ich mit meinem Mann einfach am Wochenende mal ins Kino, das haben wir sowieso schon lange vor.“
„Gute Idee“, fand Johannes und klopfte ihr ermutigend auf die Schulter. „Du solltest Dinge tun, die dich entspannen und dir Freude bereiten. Umso besser kannst du es danach mit dem Alltag aufnehmen. Glaub mir: Ein gut gelaunter Chef kann auch bei einigen Schwierigkeiten mit den Angestellten hilfreich sein.“
Martina stutzte, da sie an Andrea denken musste. „Stimmt, da gibt es ja noch da Problem mit meiner Angestellten“, seufzte sie und vergrub mit einem schweren Seufzen ihre Stirn in den Händen.
„Wollen wir darüber noch sprechen?“ fragte Johannes mit einem Blick auf die Anzeigetafel. Der Zug sollte in 10 Minuten eintreffen, von einer weiteren Verspätung war zumindest jetzt noch keine Rede.
„Wenn wir das noch schaffen.“ Martinas Lächeln verriet offenes Interesse.
„Erzähl mir doch ein bisschen von ihr, bevor wir weitermachen“, schlug Johannes vor und verlagerte sein Gewicht auf dem Stuhl. Diese waren in der Tat deutlich zu hart, um als bequem bezeichnet werden zu können.
„Andrea passt irgendwie nicht so richtig ins Team“, begann Martina, wobei sie sich bemühte, möglichst neutral zu formulieren. „Sie ist hoffnungslos überfordert, wenn sie mal allein im Salon arbeitet. Darüber hinaus ist sie beim Frisieren recht langsam, macht häufig Fehler, naja… und es gab schon manche Beschwerden wegen ihrer Unfreundlichkeit.“
Johannes grinste. „Klingt ja nach einem Musterexemplar eines klischeehaften Horror-Mitarbeiters“, meinte er.
„Sie ist pünktlich und trinken tut sie auch nicht im Dienst.“
Sein Grinsen war nicht schwächer geworden. „Stimmt, das hätte noch gefehlt. Mach mir mal bitte einen Satz daraus, wie du über Andrea denkst“, bat er sie.
Das fiel ihr nicht schwer. „Andrea sollte beim Arbeiten mitdenken.“
„Gut, das beherrschst du also schon“, freute er sich. „So, Martina, jetzt geh in dich: Ist das wahr? Ist es wahr, dass Andrea mehr mitdenken sollte?“
„Natürlich“, kam es prompt und etwas schnippisch. Sie scheint ja häufiger überhaupt nicht zu überlegen.“
„Bist du dir absolut sicher, dass das wahr ist?“
Sie zögerte. „Ich wüsste nicht, was ich sonst noch sagen sollte.
„Ist sie denn überhaupt in der Lage, einen Salon, wenn auch nur wenige Stunden, eigenständig zu führen?“ half Johannes nach.
Nach kurzem Überlegen musste sich Martina eingestehen, dass er Recht hatte.
„Nein, ich glaube, das kann sie nicht.“
„Sollte sie denn mehr mitdenken?“
„Ich kann nicht verlangen, wozu sie von vornherein nicht in der Lage ist“, erklärte Martina. „Nein, sie sollte nicht mehr mitdenken.“
„Hieraus kannst du noch eine andere Umkehrung machen, Martina“, forderte er sie auf.
„Ich sollte mehr mitdenken?“ entfuhr es hier halb überrascht, halb fassungslos.
„Warum nicht?“ schmunzelte Johannes.
„Wie fühlst du dich denn bei dem Gedanken, dass sie mehr mitdenken sollte und es eben nicht tut?“
„Aufgelöst“, musste sie zugeben. „Wütend und frustriert. Wenn ich sie bloß sehe, habe ich schon eine scharfe Bemerkung parat, weil ich nur darauf warte, dass wieder etwas passiert.“
„Zwei Dinge lernst du daraus“, sagte Johannes und beugte sich zu ihr vor. „The Work konzentriert sich vor allem auf die eigene Person, wir versuchen nicht, für andere mitzudenken. Im Umgang mit deinen Angestellten solltest du ihnen Chancen einräumen. Ein Arbeitsverhältnis, in dem der Chef nur darauf wartet, dass der andere einen Fehler macht, ist stets von Spannungen beherrscht. Auch du als Unternehmerin darfst deine innere Ruhe nicht verlassen und so Anspannung erschaffen. Wenn du aber durch The Work feststellst, dass du permanent Dinge von einer Mitarbeiterin erwartest, die sie nicht erfüllen kann, dann sind beide in diesem Betrieb nicht zufrieden, oder?“
Martina hatte schon längere Zeit daran gedacht, Andrea zu kündigen, es aber nie übers Herz gebracht. Andererseits gab es dafür Kündigungsfristen, und Andrea könnte einen Arbeitsplatz finden, in welchem sie nie Verantwortung tragen musste, in einem großen Geschäft beispielsweise.
Wenn sie eine fähige Mitarbeiterin einstellte, könnte der Salon höheren Profit abwerfen, was ein paar Stunden mehr Ruhe für sie persönlich bedeuten würde. Momentan musste sie ununterbrochen nach dem Rechten sehen, weil ohne ihre Anwesenheit ein sprichwörtliches Chaos ausbrach.
Als endlich der lang erwartete Zug in den Bahnhof einfuhr, fühlte Martina sich auf eine schwer zu erklärende Weise befreit. Es war, als habe man ihr einen großen Teil des auf ihrem Herzen liegenden Felsbrockens entfernt. Wie gesagt, nicht jeden Krümel. Johannes hatte maximal ein kleines Wunder vollbracht – mystische Kräfte konnte er deshalb nicht beherrschen.
Ihre Verabschiedung fiel kurz, aber ungemein herzlich aus. Sie tauschten ihre Telefonnummern, bevor Johannes ihr knapp erklärte, wie es nun weitergehen würde:
„Martina, du schreibst jeden Tag alle negativen Gedanken, die du hattest, auf einen Zettel. Wir werden jeden Abend telefonieren und diese Punkte gemeinsam durchgehen. Da du aber schon Einiges von The Work verstanden hast, versuche doch bitte vor unserem Gespräch anhand der 4 Fragen selbst schon einmal zu reflektieren: Ist das wahr? Bin ich mir absolut sicher, dass das wahr ist? Wie reagiere ich, wenn ich diesen Gedanken denke? Wer wäre ich ohne diesen Gedanken?“
„Bin schon dabei“, grinste sie ihn an, da sie tatsächlich mehr Lebensfreude verspürte, als am gesamten vergangenen Tag.
„Auch die Umkehrungen werde ich probieren, auch wenn sie schwer fallen.“
Johannes schien damit sehr zufrieden zu sein, winkte ihr noch einmal zum Abschied zu und verließ den Bahnsteig. Seltsam, dass er nicht denselben Zug nahm, dachte sie. Hatte er vielleicht auf jemanden gewartet?
In bester Laune rief sie ihren Mann Carsten vom fahrenden Zug aus an und teilte ihm mit, weshalb der Opernabend heute ausfallen musste. Er schien gar nicht unglücklich darüber zu sein. Stattdessen schlug sie ihm in einem Blitzeinfall vor, gemeinsam in die Spätvorstellung des Kinos zu gehen. Dies überraschte ihn umso mehr auf deutlich positive Weise, was sie aus seiner Stimme deutlich heraushören konnte.
Martina kuschelte sich gemütlich in ihren Sitz. Sie hatte seit einer Stunde nicht mehr auf die Uhr geschaut. Eine weitere Verspätung könnte sie sowieso nicht verhindern, weshalb also Kraft und Energie aufwenden, um sich darüber zu ärgern?
Tag 9
Martina fühlte sich so ruhig und entspannt, wie schon lange nicht mehr. Selbst im privaten Bereich waren die Wogen geglättet. Wenn sie und Carsten sich morgens beim Frühstück trafen, wechselten sie kurze, liebevolle Worte. Streit wurde immer seltener. Gestern hatte sie die Mitgliedschaft im Golfclub gekündigt. Trotz der guten Kontaktmöglichkeiten wollte sie ihre Freizeit doch lieber nutzen, um ihre eigene Energie wieder aufzufüllen: und zwar durch Aktivitäten, die ihr Kraft gaben. Wenn sie dabei gute Kontakte machte, war es umso besser. Heute übte sie für einen Vortrag, den sie beim hiesigen Unternehmerverein halten würde. Sie hatte große Angst davor, da sie es nicht gewöhnt war, vor vielen Leuten zu sprechen. Viele unangenehme Gedanken kreisten in ihrem Kopf: Sie sah zu gewöhnlich aus, oder sie war nicht redegewandt genug, würde sich nur lächerlich machen.
Als Johannes um 19 Uhr anrief, hatte sie daher mehr als sonst zu erzählen.
„Ich komme mit diesem Vortrag nicht voran“, beklagte sie sich seufzend. „Da steckt ein extrem langweiliger Teil bei der Entwicklung und Bebauung der letzten 10 Jahre. Ich habe keine Ahnung, wie ich das jemandem spannend rüber bringen sollte.“
„Und was sagt The Work dazu?“ wollte Johannes wissen.
„Ist es wahr, dass ich diesen Vortrag halten sollte?“ versuchte es Martina. „Ja, habe ich schon mehrmals geübt. Das einzige, das ich mit der Umkehrung erreichen würde, wäre, den Vortrag nicht zu halten und davor wegzurennen. Und dies erscheint mir auch kein sinnvoller Weg zu sein“, schloss sie.
„Wie wäre es denn mit der Frage, ob du den Vortrag wirklich auf diese Weise halten solltest?“ schlug Johannes sanft vor.
„Na die anderen wollten doch, dass ich diesen Punkt mit anführe“, protestierte sie.
„Das heißt aber nicht, dass du den halben Abend lang nur darüber reden solltest, oder?“
„Stimmt, du hast Recht“, pflichtete sie ihm bei, der gerade ein Licht aufging. „Sollte ich den Vortrag wirklich so halten?“ begann sie die erste Frage. „Nein“, beantwortete sie diese selbst. „Ich bringe das Thema kurz und bündig und fülle den Rest mit spannenderen Themenbereichen.“
Nicht zum ersten Mal stellte Martina fest, welch ein wirksames und gleichzeitig so einfaches Werkzeug für ihre tägliche Arbeit darstellte. Sie war unglaublich froh, Johannes auf diesem Bahnsteig getroffen zu haben.
Tag 16
Mit großem Eifer hatte Martina angefangen, diverse Schwierigkeiten ihres Friseursalons Stück für Stück anzugehen. Schweren Herzens hatte sie das Gespräch mit Andrea gesucht und ihr die Kündigung mitgeteilt. Sie schien es nicht allzu schwer zu nehmen, war ihr persönlicher Eindruck. Vielleicht würde sie sich tatsächlich in einem größeren Betrieb, in welchem sie nie einen Laden allein beaufsichtigen müsste, wohler zu fühlen. Zwar hatte sie die Stelle schon neu ausgeschrieben, jedoch noch keinen Ersatz für sie gefunden.
Heute beschäftigte sie sich vor allem mit dem Budget ihres Salons, das leider nicht so rosig aussah, wie sie es sich wünschen würde. Ihre Preise waren im Grunde fair, trotzdem hätte sie sich mehr Kunden gewünscht, da sie zeitweilig wirklich allein im Geschäft saß und die Decke anstarrte.
Ihr allabendliches Gespräch mit Johannes drehte sich daher rund um die Finanzen. Auch hierfür konnten sowohl durch The Work, als auch durch seine jahrelange Erfahrung als Berater Lösungen gefunden werden.
„Die Frage ist“, sagte er nach längerer Zeit der Überlegung, „ob die aktuellen Preise so bleiben sollten.“
„Sie müssen so bleiben“, konterte Martina. „Sonst würde ich bankrottgehen.“
„Bist du dir absolut sicher, dass die Preise so bleiben sollten?“
„Ja, ich bin mir sicher“, antwortete sie traurig. „Ich wüsste nicht, wie das anders funktionieren sollte.“
„Wie fühlst du dich, wenn du diesen Gedanken denkst?“
„Enttäuscht“, war die prompte Antwort. „Weil ich es nicht ändern kann, aber gerne möchte.“
„Kannst du wirklich gar nichts daran ändern?“
„Moment“, sagte Martina, plötzlich stutzig geworden. „Mir kommt da eine Idee.“
Nach längerer Überlegung fiel ihr etwas ganz Neues ein. „An sich kann ich die Preise nicht herabsetzen, aber: Ich könnte Rabatte für bestimmte Tage oder bestimmte Personen einführen. Das könnte für Neukunden attraktiv sein.“
Johannes freute sich. „The Work funktioniert, wie wir eben gerade bewiesen haben. Wenn du gezwungen wirst, den Blickwinkel zu ändern und alle Aspekte zu beleuchten, kommen die besten Ideen zum Vorschein.“
Martina lächelte, ehrlich zufrieden. „Ich bin so froh, dich getroffen zu haben.“
Tag 21
Martina summte zufrieden, als sie Johannes die Haare kürzte. Wettschulden waren halt Ehrenschulden. Als sie an die vergangenen Wochen dachte, war sie noch immer überrascht von der Schnelligkeit, in der die Veränderungen eingetreten waren. Sicherlich war nicht alles gelöst. Sie suchte immer noch eine neue Angestellte, und bisher war keine bei ihr vorstellig geworden, bei der sie ein ausreichend gutes Bauchgefühl gehabt hätte. Die Stimmung im Salon war unterdessen harmonischer als je zuvor geworden. Martina unternahm mehr Aktivitäten, die ihr Freude bereiteten und kam dementsprechend besser gestimmt zur Arbeit. Sie hatte auch kein Problem mehr damit, wenn Nicole eine Zigarettenpause einlegte, so lange nur wenige Kunden da waren und der Salon besetzt war. Sie hatte sich sogar bei ihr entschuldigt, was einige Überraschung auf ihrem Gesicht hinterlassen hatte, die sich kurz darauf in ein freudiges, dankbares Lächeln verwandelt hatte.
Martina war tatsächlich so zufrieden, wie Johannes es ihr versprochen hatte. Und dies übertraf ihre anfänglichen Erwartungen beträchtlich.
„Über unser bestes Beispiel, wie The Work funktioniert, haben wir noch gar nicht gesprochen“, sagte er und schloss entspannt die Augen, als sie seinen Kopf mit Shampoo einrieb.
„Ich bin ganz Ohr“, sagte sie und traktierte seinen Kopf mit kräftigen Fingern.
„Der Zug“, murmelte er voller Entspannung. „Was hast du am Anfang über den Zug gedacht?“
„Dass ich gar nicht hier sein sollte“, erwiderte sie. „Wenn das Auto nicht kaputt gegangen wäre…“
„Wie geht es dem Wagen eigentlich?“
„Gut, es war nur die Batterie – hey“, rief Martina, als Johannes seinen Kopf im Spülbecken drehte, um sie anzusehen. Wolken von Schaum spritzten nach allen Richtungen.
„Du solltest nicht hier auf dem Bahnhof sein“, begann er, ohne sie zu beachten. „Ist das wahr?“
„Zum damaligen Zeitpunkt ja.“
„Aber das Auto war nun einmal kaputt, sich das wegzuwünschen, funktioniert nicht“, erklärte er einfach.
„Das stimmt.“
„Und nun bitte die Umkehrung“, grinste er sie an.
Martina verharrte einen Moment in ihrer Bewegung, als sie bemerkte, worauf er hinaus wollte.
„Ich sollte auf diesem Bahnhof sein“, sagte Martina flüsternd.
„Oh ja. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr wir uns in unseren Annahmen täuschen können.“
„Aus etwas anscheinend Negativem, wurde etwas Positives“, fuhr Martina fort. „ich wollte nur weg von dort, nur schnell nach Hause. Stattdessen traf ich dich und machte eine der bemerkenswertesten Erfahrungen meines Lebens.“
Martina wurde sich klar, dass sie an diesem Abend unbedingt auf diesem Bahnhof sein sollte, mehr noch: Sie war noch nie in ihrem Leben so dankbar über eine Autopanne gewesen.
Nachwort und für die tägliche Praxis:
Viel kritisieren an „TheWork“, dass man in die „Opferrolle“ kommt und immer nur die Fehler bei sich sucht.
Das genaue Gegenteil ist der Fall!
Es stimmt, dass sich die Arbeit immer auf einen selbst ausrichtet, aber das kommt ja daher, dass ich mich ja nur selbst ändern kann. Ich habe ja keinen Einfluss auf die anderen.
Das Problem entsteht nur dann wenn ich nicht genügend Aufmerksamkeit auf die Umkehr lege!
Wenn ich wie in der Geschichte z.B. bei dem Problem mit der Angestellten nicht weiterfragen würde um andere Möglichkeiten zu sehen und weiter alles selber nur die Schuld bei mir selber sehen würde und „akzeptieren“ würde, dass es so sein muss.
Wenn ich aber nach möglichen Lösungsschritten weiter suche, Schritte die sich für mich gut anfühlen komme ich ins Handlen und raus aus der Passivität und genau das soll ja passieren. Raus aus der Opferrolle hin zum Handelnden!
Noch ein Hinweis von mir: Ich tue mir oft leichter wenn ich bei der Frage: „Ist das wahr“, mich frage „Ist das die Realität“ – denn meistens ist ja mein Glaubenssatz für mich wahr, aber die Realität schaut doch meistens anders aus.
Wichtig: Spiele mit den Fragen – versuche Sie umzuformulieren, nachzufragen – genieße es statt dich unter Druck zu setzen!
Hier noch einmal die 4 Fragen
- Ist das wahr?
- Kann ich absolut sicher wissen, dass das wahr ist?
- Wie reagiere ich auf diesen Gedanken?
- Wer wäre ich ohne diesen Gedanken?
Lassen dir Zeit.
THE WORK ist wie eine Meditation!
Schaue, ob hinter der ersten Antwort, die der Verstand für Sie parat hält,
noch eine andere auftaucht.
Warten Sie auf die Antwort Ihres Herzens.
Gehen Frage für Frage vor und seien offen für unerwartete Antworten.
Wenn du zu einem Satz alle vier Fragen gestellt hast, kehre deinen Glaubenssatz ins Gegenteil um.
Fragen dich: Ist diese Umkehrung genauso wahr oder wahrer, wie das, was ich aufgeschrieben habe?
Versuche 3 Beispiele zu finden wie du diese Umkehrung umsetzen könntest oder warum sie wahr ist.
Vielleicht finden Sie noch weitere Umkehrungen.
Arbeitsbögen findest du auf der Deutschen Seite von